Kommentar
„Ich missbillige, was Sie sagen, aber ich werde bis zum Tod Ihr Recht verteidigen, es zu sagen.“ Längst ist klar, dass dieses Zitat nicht Voltaire zuzuschreiben ist, sondern seiner Biografin Evelyn Hall. Und beide mögen todesmutig für die Meinungsfreiheit gekämpft haben: Oft haben sie dies unter Pseudonym getan. Wenn es nach aktuellen Bestrebungen zur Klarnamenpflicht in sozialen Netzwerken geht, wäre ihnen das dort bald nicht mehr möglich. Darum geht es aber heute noch nicht, weder in diesem Beitrag noch im Kabinett. Zunächst geht es – neben BKAG und StPO – dem StGB an den Kragen.
„An den Kragen gehen“ führt dabei schon mitten in den Kern: Welche Sprachbilder lassen sich zukünftig noch verwenden? Ein kleiner Fall als Denksportaufgabe für #TeamStrafrecht… #TeamDatenschutzrecht darf gerne mithelfen. Schließlich geht es bald auch darum, welche Daten zukünftig an die Strafverfolgungsbehörden übermittelt werden, was wo gelöscht und in welcher Datenbank gespeichert wird. Bestimmtheit in den Tatbeständen entscheidet also auch aufgrund der datenschutzrechtlichen Implikationen über die Sanktionsrisiken der sozialen Netzwerke.
Influencerin I kommt nach einem frustrierenden Arbeitstag nach Hause. Im sozialen Netzwerk ihres Vertrauens berichtet sie – sichtlich wütend und entschlossen – ihren Followern. Ein unfaires Verhalten ihres Kollegen K kommentiert sie mit: „Dafür werde ich ihm morgen mal richtig heftig vor das Schienbein treten, mit meinen heute neu gekauften Stiefeln von [Marke M, #Werbung].“
Follower F belohnt den Beitrag – je nach Netzwerk und Laune mit einem solidarischen „Ja, gib’s ihm!“-Kommentar (verziert mit einem Stiefel-Emoji) oder auch nur mit einem empathischen Like / Daumen hoch / Herzchen, etc.
Kollege K hingegen, der (was I wusste) auch einer ihrer Follower ist, antwortet: „DU bist die, der es jetzt an den Kragen geht.“
F kommentiert auch diese Antwort befürwortend, inkl. Popcorn-GIF. So weit, so scheinbar trivial. Versetzen Sie sich in die Lage des Providers P, alternativ die der beratenden Anwälte ABC. Was entfernen Sie, was melden Sie demnächst? Prüfen Sie nach alter und neuer Rechtslage.
Bisher können Sie – bei allen schon bestehenden Schwierigkeiten der Bewertung der „Ernstlichkeit“ der Bedrohungslage – immerhin zugrunde legen, dass die öffentliche Androhung von Straftaten (§ 126 StGB) erst ab der schweren Körperverletzung (§ 226 StGB) strafbar ist, also beim – angedrohten – Verlust von Sinnesorganen oder wichtigen Gliedern des Körpers. So heftig wird es wohl nicht kommen, denken Sie.
Die Bedrohung – also die Ankündigung gegenüber dem Betroffenen selbst – ist gem. § 241 StGB auch erst ab der Inaussichtstellung von Verbrechen strafbar, also bei Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind (§ 12 StGB).
Und Follower F kann sich bislang immerhin darauf verlassen, dass nur die Billigung (bestimmter) begangener Straftaten nach § 140 StGB sanktioniert wird, nicht hingegen die befürwortende Kommentierung bisher nur fiktiver Gedankenspiele.
Künftig soll hingegen die Bedrohung gem. § 126 StGB schon ab der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB) strafbar sein. Was ist also mit dem Tritt mit dem „beschuhten Fuß“ in unserem Fallbeispiel als möglichem gefährlichem Werkzeug? Scheitert die Strafbarkeit gem. § 126 StGB-E an der fehlenden Relevanz für den „öffentlichen Frieden“? Sind Sie sicher?
Die Billigung von Straftaten soll gem. § 140 StGB-E jetzt auch schon bezogen auf künftige Straftaten (i.S.d. § 126 StGB-E, man beachte auch die elegante Verweisungskette) sanktioniert werden.
In den Bedrohungstatbestand des § 241 StGB-E sollen – ja nach Entwurfsversion – nun sämtliche Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit aufgenommen werden, also auch schon die „einfache“ Körperverletzung gem. § 223 StGB. Nach anderen Fassungen sollen auch Straftaten gegen die persönliche Freiheit aufgenommen werden. Das klingt nach dem kompletten 18. Abschnitt, inkl. Stalking, Nötigung und … Bedrohung selbst. Das bereichert die Debatte – und künftige mündliche Prüfungen im Strafrecht – also auch noch um das Phänomen der Ketten-Bedrohung im Sinne einer Bedrohung mit einer Bedrohung.
Kleine Hilfestellung aus der (sonst in diesen Deliktsbereichen nicht sehr hilfreichen) Kommentarliteratur: Eine Bedrohung im Sinne des § 241 StGB kann auch über Dritte erfolgen, wenn die Weitergabe an den Adressaten vom Vorsatz des Täters umfasst ist. Den Tatbeständen des § 126 StGB und des § 241 StGB fehlt es gerade bei öffentlicher Bekanntgabe also ohnehin an Trennschärfe. Interessant kann das auch werden, weil gem. § 3a NetzDG-E nur „Bedrohungen (§ 241 StGB) mit Tötungsdelikten“ gemeldet werden sollen, Androhungen i.S.d. § 126 StGB aber ohne eine solche Einschränkung. Für #TeamStrafrecht und die Systematik des StGB dürften spätestens dann alle Klarheiten beseitigt sein. Was sagt #TeamDatenschutz dazu?
Die Meinungsfreiheit findet ihre Schranken in den allgemeinen Gesetzen. Das ist gut und richtig so. Es geht hier nicht einmal darum, etwas „wohl noch sagen zu dürfen“. Vielmehr geht es um Kritik am Handwerk. Mit jeder weiteren Verschiebung in das Vorfeld konkreter Rechtsgutsverletzungen bleibt mehr denn je offen, wo die Grenzen des Sagbaren – und die des zukünftig ggf. Meldepflichtigen – verlaufen. Es geht auch darum, dass Diensteanbieter gerade als private Hilfssheriffs so viel Rechtsklarheit benötigen, dass sie ihre Teams effizient ausbilden können. Wer schon nicht rechtssicher wissen kann, was er lokal sperren oder global löschen soll, weiß auch nicht, was er in der Folge an die neue zentrale Datenbank des BKA melden soll. Zu den oft diskutierten Risiken des Overblockings kommen spätestens dann solche des Overreportings hinzu.
Gemessen an den Folgen, die die aktuellen Entwürfe hätten, ist der Diskurs bislang befremdlich ruhig, auch im #TeamStrafrecht. Möglicherweise ist dies ein Beleg dafür, dass soziale Netzwerke im besten Fall wenig anderes sind als … Plattformen, Gastgeber – Host-Provider – ohne eigene Stimme. Auch mag es am fehlenden Talent zum Underdog liegen, dass selten gewürdigt wird, in welchem Umfang sie bereits jetzt Anstrengungen unter- und genuine Staatsaufgaben übernehmen. Auch Großkonzerne haben jedoch Anspruch auf gesetzliche Bestimmtheit und Rechtsklarheit. Influencer und sonstige Nutzer der Plattformen sollten – aus diesem Grund und auch im eigenen Interesse – ihre eigene Stimme finden und nutzen. Und so fokussiert die zur Diskussion stehenden Entwürfe auch auf soziale Netzwerke sein mögen: Sie beeinflussen genauso die Grenzen des Sagbaren in der Offline-Welt. Ein an die Legislative gerichteter Diss-Track zur rechten Zeit könnte etlichen Rappern Debatten um die Grenzen der Kunstfreiheit ersparen. Anders als Voltaire und Hall muss man dafür nicht mal todesmutig sein.